Theorie und Praxis sind kein Widerspruch – ihre Verbindung kann Wissenschaftsskepsis verringern und den Arbeitsalltag in der Erwachsenenbildung bereichern. Dies und mehr zeigen Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen im Magazin erwachsenenbildung.at
Die Ausgabe 54 „Theorie und Praxis in der Erwachsenenbildung“ widmet sich aktuellen und historischen Diskursen zum Verhältnis von Theorie und Praxis und ihrer Relevanz für die Erwachsenenbildung. Das Wissenschaftsbarometer 2024 der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zeigt den Wunsch nach mehr Informationen über Wissenschaft. Dass auch Praktiker*innen der Erwachsenenbildung ein hohes Interesse an Theorie und Forschung haben, zeigen etwa Brigitte Bosche und Peter Brandt in ihrem Beitrag zur neuen Ausgabe 54 des „Magazin erwachsenenbildung.at“.
Kooperative Fallarbeit von Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen
Wie kann die Praxis an der Theoriebildung mitwirken? Auch diese Frage diskutieren Brigitte Bosche und Peter Brandt vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung im Beitrag „Unterschätzte Theorie. Wissenschaft-Praxis-Interaktionen im DIALOG-Praxisnetzwerk“. Am Thema Lebensweltorientierung in der Erwachsenenbildung zeigen sie, wie Wissenschaftler*innen bildungstheoretische Überlegungen auf Basis von Praxisfällen entwickeln. Konkret entsteht in einer DIALOG-Veranstaltung die Hypothese, individuelle Bildungsprozesse würden zunehmend durch kollektives Lernen in den Lebenskontexten der Teilnehmenden abgelöst.
Partizipative Forschung in der Grundbildung
Ein gemeinsames Forschungsprojekt von Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen im Bereich Alphabetisierung beschreibt Sophie Pähler in ihrem Beitrag „Theorien, die in der erwachsenenbildnerischen Praxis entstehen“. Lehrende und Forschende nehmen dabei als gleichberechtigte Partner*innen teil. Das Projekt erkundet die „Alltagstheorien“ zum Einsatz digitaler und analoger Medien in der Grundbildung. Ein partizipativer Forschungsansatz könne die Akzeptanz der Theorie in der Praxis erhöhen, so Sophie Pähler, Erziehungswissenschaftlerin an der Bergischen Universität Wuppertal.
Gelungene Beispiele der Verbindung von Theorie und Praxis in Bildungsformaten
Petra Traxler, Hochschullehrende an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz, zeigt anhand eines strukturierten Online-Lernsettings, wie Studierende aus einem theoretischen Medienkompetenzmodell ein praktisches Medienprodukt entwickeln. Zwei deutsche Volkshochschulen entwickelten ein Weiterbildungsprogramm für Lernbegleiter*innen. Die Module ermöglichen eine Auseinandersetzung mit Theorie und stärken damit die Handlungsfähigkeit in der Praxis, so die Autor*innen Mareike Beer und Heike Ewers, VHS-Leiterinnen in Nordrhein-Westfalen. Auch Christina Buschle, Florian Heßdörfer, Svenja Krämer und Karin Thier von der IU (Internationale Hochschule) bestätigen den Nutzen theoretischer Modelle für pädagogische Arbeitsfelder. Sie beschreiben, wie theoretische Konzepte dabei helfen, Konfliktsituationen in Gruppen zu analysieren oder Führungsbeziehungen in pädagogischen Handlungskontexten konstruktiv zu gestalten.
Kritische Diskurse
Anlässlich gesellschaftlicher und akademischer Debatten über Wissenschaftsskepsis, wissenschaftlichen Herrschaftsansprüchen oder Rufen nach pädagogischem Rezeptwissen beschäftigen sich Petra Kolb (Universität Wien), Lorenz Lassnigg (IHS Wien), Jan Niggemann (Österreichisches Institut für Erwachsenenbildung) und Stefan Vater (Verband Österreichischer Volkshochschulen) in ihren vier Beiträgen kritisch mit dem Spannungsfeld zwischen Praxis und Wissenschaft. Sie plädieren für eine Aufwertung der Theoriebildung und fordern gleichzeitig, elitäre Vorstellungen der Wissenschaft zu überwinden.
Perspektiven marginalisierter Gruppen einbeziehen
Dies fordert schließlich Birge Krondorfer, FRAUENHETZ Wien, in ihrem Beitrag über Feministische Theorievermittlung und politische Praxis. Sie thematisiert das Verhältnis zwischen akademischer Wissensproduktion und dem Erfahrungswissen politischer Bewegungen. Die Aufhebung der Hierarchie zwischen Theorie und Praxis sei ein wichtiges Ziel, heißt es darin. Der Beitrag beschreibt auch die wachsende Kluft zwischen Hochschulen und gesellschaftlicher Bildungspraxis. Ziel einer Theorie-Praxis-Verschränkung sei eine politische und erfahrungsbasierte Theorieentwicklung, die marginalisierte Perspektiven einbezieht, Machtverhältnisse reflektiert und gesellschaftliche Entwicklung befördert.
Über die 54 Ausgabe des Magazin erwachsenenbildung.at
Die aktuelle Ausgabe „Theorie und Praxis in der Erwachsenenbildung“ ist kostenfrei online verfügbar. Herausgeber*innen sind Julia Schindler (Universität Innsbruck) und Stefan Vater (Verband Österreichischer Volkshochschulen).
Weitere Beiträge der Ausgabe sind:
- Theorie-Praxis-Transfer im berufsbegleitenden und dualen Studium der Sozialen – Arbeit (Michael Görtler, OTH Regensburg und Nurdin Thielemann, IU Internationale Hochschule).
- Dialektisches Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis in der Pädagogik. Ein historischer Rückblick von Aristoteles über Kant und Schleiermacher bis Herbart (Marina Märzinger, Land Oberösterreich).
- Berufliche Resozialisation von Strafgefangenen: Theoretische Herausforderungen und praktische Grenzen der Wiedereingliederung (Elke Brewster, Justizanstalt Suben).
- Rezension: Neue Wege und Begegnungen in der Grundbildung und Grundbildungsforschung. Eine Zwischenbilanz aus Forschung und Praxis. Von Antje Pabst und Natalie Pape (Hrsg.) (Daniela Schwarz)
Weitere Informationen:
24.02.2025, Text: Andrea Widmann, Redaktion/CONEDU
Dieser Text ist unter CC BY 4.0 International lizenziert.