Kritische Medienkompetenz als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe

Desinformation, „Fake News“ und „alternative Fakten“ wurden mit der Präsidentschaft von D. Trump, mit der Brexit-Kampagne und aktuell mit diversen Verschwörungserzählungen um die COVID-19-Pandemie zu prominenten Begriffen in gesellschafts- und bildungspolitischen Auseinandersetzungen.

Die Gründe für deren Erfolg sind zwar vielschichtig, sie wären aber ohne kommerzielle Medien und digitale Plattformen kaum denkbar. Daher wird in Zeiten der Digitalisierung kompetentes und kritisches Medienhandeln, insbesondere auch für die Erwachsenenbildung, zu einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung. Die EU-Kommission unterstrich in ihrer Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste1 die Forderung nach mehr Medienkompetenz der Bürger_innen: „Medienkompetenz sollte sich nicht darauf beschränken, Wissen über Tools und Technologien zu erwerben, sondern das Ziel verfolgen, Bürger_innen Fähigkeiten des kritischen Denkens zu vermitteln. Diese sind notwendig, um Bewertungen vorzunehmen, komplexe Realitäten zu analysieren und zwischen Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden.

       Der konzeptuelle Rahmen kritischer Medienkompetenz ist in vielfältigen Lernfeldern nutzbar…
       Peissl Helmut

Das Konzept Media and Information Literacy (MIL) wurde insbesondere von der UNESCO entwickelt und gefördert. Es soll Menschen dazu motivieren, das demokratische Leben aktiv und bewusst mitzugestalten 2. Mit dem Konzept der kritischen Medienkompetenz, wie es Douglas Kellner und Jeff Share (2019) darlegen, wird dies am deutlichsten konzeptuell umgesetzt. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Medienverhältnisse immer auch Machtverhältnisse repräsentieren, ist für die beiden Experten Medienkompetenz nur dann zeitgemäß, wenn sie zentralen Aspekten von Benachteiligung, wie etwa Class, Race und Gender, Rechnung trägt und einen intersektionalen Zugang verfolgt.

Das Konzept kritische Medienkompetenz lässt sich durch sechs zentrale Überlegungen skizzieren:

  1. Die Gestaltung von Medienbotschaften basiert auf sozialen Prozessen und ist nie neutral. Wer ist für die Entstehung verantwortlich?
  2. Jedes Medium hat seine eigene Sprache mit spezifischer Grammatik und Semantik, die es zu verstehen gilt. Mit welcher Mediensprache bin ich konfrontiert?
  3. Die Rezipient_innen haben stets eine aktive Rolle bei der Dekodierung von Medieninhalten. Wie könnten Medieninhalte mitunter auch anders verstanden werden?
  4. In Medieninhalten und -strukturen sind Politiken der Repräsentation eingeschrieben und es stellt sich immer die Frage, welche Gruppen wie repräsentiert werden. Welche Perspektiven und Inhalte werden verstärkt, welche werden weggelassen?
  5. Medieninhalte entstehen in spezifischen Strukturen, mit oder ohne kommerzielle Interessen, in öffentlich-rechtlichem Auftrag oder aus gemeinwohl-orientierten, kooperativen Strukturen. Je nach Struktur leiten verschiedene Ziele die Auswahl und Gestaltung von Inhalten. Mit welcher Struktur bin ich bei einem konkreten Medium konfrontiert?
  6. Im Hinblick auf den Anspruch auf soziale und ökologische Gerechtigkeit stellt sich die Frage: Welche Themen oder Perspektiven werden von medialen Inhalten begünstigt, benachteiligt oder auch ausgeschlossen?

Der konzeptuelle Rahmen kritischer Medienkompetenz ist in vielfältigen Lernfeldern nutzbar – sei es in der politischen Bildung, beim Lernen von Sprachen, in der Basis- oder aber in der Gesundheitsbildung. Nicht zuletzt sollte eine Auseinandersetzung mit Medienkompetenz in der Bildungsarbeit Lernende dazu befähigen, ihre Handlungsfähigkeit in der demokratischen Gesellschaft zu erweitern, sich Meinungen zu bilden, selbst Medieninhalte konstruktiv zu gestalten und sich am politischen Leben zu beteiligen. Die aktuellen medienpolitischen Diskussionen rund um das Thema Regulierung- bzw. Selbstregulierung von Online-Plattformen, aber auch die Auseinandersetzung mit ethischen Standards bei der Berichterstattung zum Terrorattentat im November in Wien, sind nur zwei aktuelle Beispiele.

von Helmut Peissl