Robert Kramreither

im Interview mit Mario Friedwagner/bifeb

Sehr geehrter Herr Kramreither, Sie sind bereits seit den frühen 1980er Jahren im Bereich der Erwachsenenbildung tätig. Seither hat sich die Welt radikal verändert. Welche Anliegen, Diskussionen und Zugänge gab es vor 40 Jahren in unserem Sektor?

Rasante Änderungen im beruflichen und gesellschaftlichen Leben wurden auch vor fünfzig Jahren registriert. So kann man in den Erläuterungen zum Erwachsenenbildungsförderungsgesetz 1973 lesen: „Auf Grund der raschen Änderungen in der Gesellschaft von heute können Schule und Berufsausbildung dem einzelnen nicht mehr das notwendige Wissen und geistige Rüstzeug für sein ganzes Leben vermitteln. Das schnelle Veraltern des Wissens, erforderliche Umstellungsprozesse im Berufsleben und die geistige Orientierung in der modernen, komplizierter werdenden Gesellschaft erfordern … eine ständige Weiterbildung“. Abgesehen von der etwas altertümlichen Sprache klingt das durchaus zeitgemäß.

Die 1980er Jahre gelten als Jahrzehnt politischer Veränderungen und beförderten eine Wirtschaftspolitik, die den Rückzug des Staates zugunsten des freien Marktes propagierte. Hatten Entwicklungen wie diese Auswirkungen auf die Erwachsenenbildung in Österreich?

Gerade in der Erwachsenenbildung hat sich interessanterweise seit den 80er Jahren der staatliche Einfluss und eine staatliche Steuerung verstärkt, und zwar insbesondere durch gezielte Förderprogramme. Beginnend mit der sogenannten „Lehrer-Aktion 1984“ und der Finanzierung zusätzlicher pädagogischer Arbeitsplätze ab Beginn der 90er Jahre konnte durch die Anstellung von insgesamt über 300 pädagogisch qualifizierten Personen in den Institutionen der Erwachsenenbildung ein ungeheurer Professionalisierungsschub bewirkt werden. In späteren Jahren haben Bund und Länder gemeinsam wesentliche weitere Schritte gesetzt. Genannt seien in erster Linie die „Initiative Erwachsenenbildung“ mit kostenfreien Angeboten zur Basisbildung und zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses und der österreichweit einheitliche Qualitätsrahmen für Erwachsenenbildung „Ö-Cert“.

Unser Sektor hat in den vergangenen Jahrzehnten eine kontinuierliche Professionalisierung durchlaufen. Erwachsenenbildner/in zu sein, impliziert heute ein fundiertes andragogisches Wissen. Welche Entwicklungen waren in diesem Kontext besonders wichtig?

Natürlich ist da die „Weiterbildungsakademie“ (wba) zuerst zu nennen. Im Grunde wurde damit ein Berufsbild der in unterschiedlichen Bereichen der Erwachsenenbildung Beschäftigten, wie Lehre, Beratung oder Bildungsmanagement, geschaffen. Mit der Anerkennung vorhandener Kompetenzen bei der Zertifizierung und Diplomierung wurden neue Maßstäbe gesetzt. Die „Initiative Erwachsenenbildung“ wieder sorgte für Qualifikationsstandards für Lehrende in der Basisbildung. Mit dem Qualitätsrahmen für Erwachsenenbildung „Ö-Cert“ wird erstmals auf eine pädagogische oder andragogische Ausbildung der in den EB-Institutionen Tätigen abgezielt. Ein weiterer wichtiger Schritt war auch die Gründung der „Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen“ (BABE), der durch Satzung gemeinsam mit der Gewerkschaft Kollektivverträge für die gesamte Branche abschließt. Jetzt müsste noch eine starke Berufsvertretung der Erwachsenenbildner/innen entstehen, die für diese hochqualifizierte Berufsgruppe bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessenere Entlohnung erreicht.

Mit dem Strategieprozess „Lebenslanges Lernen“ (LLL) hat die Erwachsenenbildung einerseits Hoffnungen und andererseits Befürchtungen verbunden. Heute, gut zehn Jahre nach der Implementierung der LLL-Strategie in Österreich – wie fällt Ihr persönliches Resümee aus?

Bereits das kollaborative Erarbeiten der Ziele sowie des LLL-Prozesses allgemein mit seinen Plattformen und Arbeitsgruppen hat weit unterschätzte positive Auswirkungen auf die gesamte Erwachsenenbildung gehabt. In unterschiedlichsten Bereichen der Erwachsenenbildung (verschiedene Ministerien, Länder, Sozialpartner, AMS, Wissenschaft, EB-Institutionen, Städte- und Gemeindebund, NGOs, Jugend- und Seniorenvertretungen etc.) tätige Personen fanden in Arbeitsgruppen zueinander, haben sich vernetzt und profitieren davon langfristig in ihrer Arbeit. Dass nicht alle Ziele einer auf zehn Jahre angelegten Planung erreicht werden, war wohl abzusehen. Wichtige Indikatoren, wie z.B. die Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung, wurden aber im angestrebten Ausmaß erreicht. 

Vor fünfzig Jahren wurde mit dem Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung ein bundesweiter Rahmen geschaffen, der nach wie vor in Kraft ist. Im Regierungsprogramm ist jedoch von „einer zeitgemäßen Neufassung der gesetzlichen Grundlagen…“ die Rede. Was braucht unser Sektor für eine gute Zukunft?

Die ungeklärte Kompetenzlage in der Erwachsenenbildung erlaubt Bund und Ländern nur im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig zu werden. Vor diesem Hintergrund ist das Förderungsgesetz durchaus noch brauchbar. Es bedarf aber sicher einer Aktualisierung, zumal auf struktureller Ebene Professionalisierung oder Qualitätssicherung oder Entwicklungen wie z.B. die Digitalisierung vor 50 Jahren noch keine Themen waren.

Das Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) wird von Gruber und Lenz als eine „tragende Säule“ unseres Sektors beschrieben. Sie kennen das Haus, seine Entwicklung und die Veränderungen, die es durchlaufen hat. Welche Bedeutung hat das bifeb aktuell für Sie?

Das bifeb ist nach wie vor das Zentrum für Professionalisierung der in der EB tätigen Personen in Österreich. Am bifeb wird kompetent und flexibel auf aktuelle Entwicklungen reagiert und ein passgenaues Bildungsangebot entwickelt. Die notwendige Umstellung auf digitale Angebote ist unglaublich gut gelungen – auch durch erfolgreiche Kooperationen insbesondere mit dem „EB-Portal erwachsenenbildung.at“. Dazu kommen noch die herrliche Lage und die gute Verpflegung und Unterkunft.

Darüber hinaus muss das bifeb auch weiterhin offen für kritischen Diskurs sein.  Das Bildungsministerium soll sich selbstbewusst und souverän kontroversen Auseinandersetzungen zu bildungspolitischen Entwicklungen stellen. Gerade das bifeb als Dienststelle des BMBWF sehe ich als einen geeigneten Ort dafür.  

Wir leben gegenwärtig in einer Welt vielfältiger Krisen. Autoritäre Politiken nehmen zu, die Demokratie scheint an Integrationskraft zu verlieren. Welcher Auftrag leitet sich aus dieser Entwicklung für die Erwachsenbildung ab?

Demokratiefeindlichkeit und damit verbunden Wissenschaftsskepsis sind ja ganz aktuelle Themen. Durch die Verknüpfung von Politik und Wissenschaft in den letzten drei Jahren haben sich diese Phänomene verstärkt. Wer politischen Entscheidungen misstraut, misstraut natürlich auch der Wissenschaft, der die Politik offensichtlich bei ihren Entscheidungen folgte. Die Erwachsenenbildung und besonders die Politische Bildung steuert da durchaus dagegen. Die „Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung“ hat gerade bei der Ausschreibung für die Projektförderung 2023 das Thema „Wissenschaftsskepsis und Demokratiefeindlichkeit“ als Schwerpunkt.

Was mich aber wirklich sehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass nicht nur autoritäre Politiken zunehmen, sondern sich in der Gesellschaft und natürlich auch in der Arbeitswelt autoritäre und ausgeprägt hierarchische Strukturen verstärken. Mitbestimmung und Mitgestaltung sind nicht angesagt. In den 70er und 80er Jahren sind wir für eine Demokratisierung aller Lebensbereiche eingetreten. Wie es scheint, waren wir ziemlich erfolglos. Dabei wäre gerade Demokratieerfahrung in den unmittelbaren Lebensbereichen der wichtigste Hebel gegen Demokratiefeindlichkeit.

Nichtsdestotrotz bin ich optimistisch, dass gerade die junge Generation, die zwar nicht – wie wir früher – in erster Linie eine ökonomisch gerechtere Gesellschaft im Fokus hat, mit ihrem Engagement in Klimafragen und für Geflüchtete, Vertriebene und diskriminierte Personengruppen ein gelungenes Zusammenleben in einer lebenswerten, pluralistischen und funktionierenden Demokratie erreichen wird.        

Sie gehen Ende Februar in den Ruhestand. Was wünschen Sie sich für die Erwachsenenbildung in Österreich? Wo sehen Sie spezielles Entwicklungspotential für den Sektor?

Die Entwicklung der Erwachsenenbildung war in den letzten Jahren durchaus erfolgreich. Mit der „Initiative Erwachsenenbildung“, der „Weiterbildungsakademie“, mit „Ö-Cert“, dem „EB-Portal erwachsenenbildung.at“, diversen gesetzlichen Regelungen zum Nachholen von Bildungsabschlüssen oder der mehrjährigen Sicherung der Finanzierung der KEBÖ-Verbände wurden in gelungener Zusammenarbeit von Bund, Ländern, den EB-Institutionen, der Wissenschaft und anderer Akteure wie z.B. der Sozialpartner enorme Fortschritte erzielt. Jetzt heißt es einmal, diese Strukturen zu festigen und langfristig abzusichern. 

Das Interview führte Mario Friedwagner/bifeb.

Foto von Robert Kramreither

Robert Kramreither

Stellvertretender Leiter der Abteilung Erwachsenenbildung im BMBWF a. D