Nachbericht zur Tagung Gemeinwesenarbeit 2026

Vom 1. bis 3. Oktober 2025 fand am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) die 46. Tagung zur Gemeinwesenarbeit statt. Das Tagungsthema widmete sich den Dynamiken zwischen Stadt und Land und deren Bedeutung für die Erwachsenenbildung und die Soziale Arbeit. Die Fragestellungen umfassten die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten zwischen städtischer und ländlicher Gemeinwesenarbeit, die Rolle räumlicher sowie sozialer Zugehörigkeiten für die Förderung oder Verhinderung von (zivil)gesellschaftlichem Engagement durch kommunale Strukturen, Förderlogiken oder von Arbeitsbedingungen.

Die Tagung bot an drei Tagen die Möglichkeit, den Diskurs über Stadt/Land bzw. Zentrum/Peripherie mittels Vorträgen, Projektpräsentationen und Diskussionen zu vertiefen und ermöglichte somit eine gute Mischung aus Inputs und offenen Formaten.

Yuri Kazepov, Professor für Stadtsoziologie an der Universität Wien, sprach in seiner Keynote unter anderem über die Folgen planetarer Urbanisierung und die bildungspolitischen Auswirkungen von Ungleichheiten. Er fragte danach, ob es eine einheitliche und universelle „urbane“ oder „ländliche“ Erfahrung gebe, die nicht „modern“ oder „ethnozentrisch“ sei, und welche Aspekte die Identität von Nachbarschaft in Städten oder auf dem Land verleihen. Des Weiteren frage er, wie sich Gemeinschaften in Städten und auf dem Land verändern. Er stellte historische Unterscheidungen zwischen Stand und Land gegenüber, wie zum Beispiel jene des Soziologen Ferdinand Tönnies aus dem Jahr 1887, in der zwischen den Kategorien „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ unterschieden wird. „Gemeinschaft“ stehe dabei für einen persönlichen, emotionalen und traditionellen Beziehungstyp und werde durch Beispiele wie Familie, Dorf, Kirche oder Genossenschaft repräsentiert. Die Kategorie „Gesellschaft“ stehe für einen unpersönlichen und funktionalen Beziehungstyp und werde durch den Staat oder die Großstadt repräsentiert. Professor Kazepov stellte ebenfalls den „Social-Investment-Ansatz“ vor. Demnach solle sich Sozialpolitik nicht mehr nur auf kompensatorischen Maßnahmen beschränken. Eine erfolgreiche Umsetzung von Sozialpolitik umfasse demnach Investitionen in Humankapital, wie die Förderung der frühkindlichen Entwicklung und Bildung, die Erleichterung des Übergangs zwischen verschiedenen Lebensphasen sowie die klassischen sozialpolitischen Maßnahmen und Absicherungen, wie Sozialversicherung. 

In der zweiten Keynote legte Anette Schlimm vom Institut für Zeitgeschichte München den Fokus auf kulturelle Codes zwischen Stadt und Land sowie auf eine kritische Auseinandersetzung mit der städtischen Lebensweise als Norm und als Prototyp für Modernität. Laut Anette Schlimm sei nicht die Bildung von Kategorien wie „Stadt“ und „Land“ oder deren Abgrenzung relevant, sondern die Vernetzung und Vermischung zwischen diesen beiden räumlichen Dispositionen. Sie verwies auf Praktiken der Herstellung von Ländlichkeit, auf die Landromantik als ein – historisch gesehen – bürgerliches Phänomen oder die geschichtliche Darstellung von Stadt und Land mit unterschiedlichen Wertigkeiten in der Geschichte. Präsentiert wurde zudem der seit 1991 bestehende „Leader-Ansatz“ der Europäischen Union. Mit diesem Ansatz sollen mittels lokaler öffentlich-privater Partnerschaften Modellprojekte entstehen. Der Fokus des Leader-Ansatzes liegt, obwohl „von außen“ initiiert, auf endogener Entwicklung, also aus der Entwicklung von Modellregionen aus diesen Regionen selbst.

Im Anschluss wurde im Plenum gesprochen über die Themen Inklusion/Exklusion, das Klima und dessen Auswirkungen auf das Leben in der Stadt, über die Bedeutung unterschiedlicher Lebensphasen für das Leben entweder in der Stadt oder auf dem Land, über Generationenwohnen sowie über das Allokieren bestimmter Ressourcen für gewisse Strukturen (z.B. befinden sich für die Digitalisierung nötige Rechenzentren oft auf dem Land und nicht in der Stadt).

In den abschließenden Diskussionen wurde resümiert, dass die Kategorien „Stadt“ und „Land, nicht statisch, sondern dynamisch sind und es dabei immer auch sehr stark auf den Kontext ankommt. So kann es zwischen unterschiedlichen Stadtvierteln ebenfalls sehr stark unterschiedliche soziale Räume geben. Anstatt der herkömmlichen Dichotomie von Stadt und Land wäre es vielleicht sinnvoller, von Klein- und Großräumigkeit zu sprechen und dabei eine Differenzierung nach unterschiedlichen Ebenen, wie beispielsweise Nähe oder Bekanntschaft, vorzunehmen.

Die mittlerweile 46. Tagung zur Gemeinwesenarbeit zeigte einmal mehr deren Professionalisierungspotenziale: Sie war interdisziplinär ausgerichtet und bot einen Austausch zwischen verschiedenen Fachrichtungen, aktuelle Forschungsergebnisse und Trends, Praxisberichte und Good-Practice-Beispiele, die Möglichkeit, Netzwerke aufzubauen und Kontakte zu Fachkolleginnen und -kollegen zu knüpfen, sowie viele informelle Gespräche in den Pausen oder an den Abenden.

Das bifeb dankt allen Teilnehmenden, allen Mitwirkenden, allen Vortragenden und allen Initiativen, die anwesend waren und ihre Projekte präsentierten. Die Tagung Gemeinwesenarbeit war wie auch in den letzten Jahren eine lebendige Veranstaltung mit sehr guter Stimmung getragene Veranstaltung. Besonders bedankt sich das bifeb zudem noch bei der „Arbeitsgruppe GWA“ und dem Kooperationspartner, dem Ring der Österreichischen Bildungswerke. 

Die nächste Tagung findet von 7.-9. Oktober 2026 statt.