Ganzheitlicher Kompetenzbegriff gefordert

Bernd Wachter als neuer Vorsitzender der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) beleuchtet in seinem Beitrag das „EU-Jahr der Kompetenzen“ und beschreibt, wie aus seiner Sicht dieses Thema in Österreich anhand eines ganzheitlicheren Kompetenzbegriffs vertieft werden könnte.

Das Jahr 2023 wurde auf Vorschlag der EU-Kommission vom Europäischen Parlament zum „EU-Jahr der Kompetenzen“ ausgerufen. In Österreich ist davon noch wenig spürbar. Eigentlich schade. Das Thema würde eine Vertiefung verdienen – vor allem in Richtung eines
ganzheitlicheren Kompetenzbegriffes.

In Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament, den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern und vielen weiteren Stakeholdern soll es 2023 verstärkt Impulse für das lebenslange Lernen geben. Der Fokus der EU macht deutlich, dass der Gedanke einer Wirtschaftsunion noch immer einen
Vorrang vor allen anderen findet. Die Kommission hat u.a. folgende Maßnahmen für das Jahr der Kompetenzen vorgeschlagen:

  • Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, um das Potenzial der Arbeitskräfte in Europa zu nützen
  • Gewährleistung von arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen
  • Abstimmung der Ziele, Wünsche und Kompetenzen der Menschen auf die auf dem Arbeitsmarkt gebotenen Chancen
  • die Anwerbung von Drittstaatsangehörigen mit den in der EU benötigten Kompetenzen.


Aus Sicht der Erwachsenenbildung (und vermutlich auch im Sinne einer reflektierten Zukunftsvorstellung von Wirtschaft) greifen die vorliegenden Maßnahmen und vor allem der zugrundeliegende Kompetenzbegriff deutlich zu kurz. Der Europäische Verband für Erwachsenenbildung (EAEA) forderte bereits im Vorlauf der Gespräche und Konsultationen zum EU-Jahr der Kompetenzen „ein ganzheitliches Verständnis“ ein. Arbeits- und Lebenskompetenzen seien eng miteinander verbunden, daher gehören zum Europäischen Jahr der Kompetenzen auch jene, die über den Arbeitsmarkt hinausgehen, wie etwa persönliche Kompetenzen und jene rund um Demokratie, Inklusion und Nachhaltigkeit. All das hat letztlich keinen Eingang in den Vorschlag der EU-Kommission gefunden.

Erwachsenbildung leistet in Österreich und in vielen weiteren Ländern der Europäischen Union wichtige Beiträge zur Demokratieentwicklung sowie zur Integration und zur Mitgestaltung des politischen Handelns. Corona hat ganz Europa – letztlich der gesamten internationalen Staatengemeinschaft – „mitgeteilt“, was Spaltungen in unseren Gesellschaften bewirken.

Berufliche Bildung ist wichtig. Die Maßnahmen in diese Richtung sind selbstverständlich zu befürworten. Jedoch die berufliche Bildung ist kein Allheilmittel. Wir brauchen eine Bildung – und Erwachsenbildung ist ein wesentlicher Bestandteil – um Haltungen für eine zukunftsfähige Gesellschaft reflektieren zu können. Das geschieht nicht irgendwo nach dem Zufallsprinzip und ohne Steuerung. Dazu braucht es Bildung. Dazu braucht es vor allem ein großes Engagement im Bereich der Erwachsenbildung. Der Mangel an sogenannten „Social Skills“ wird seitens der Wirtschaft vielfach bemängelt. Das darf nicht überraschen, auch nicht mit Blick auf die Fokussierung im „EU-Jahr der Kompetenzen“. Die EU-Kommission wird sich über einen breiteren und tieferen Kompetenzbegriff Gedanken machen müssen. Die Erwachsenbildung in Österreich auch. Wir sollten hier Vorreiter sein oder es zumindest werden.

Foto von Bernd Wachter

Bernd Wachter
ist Bundesgeschäftsführer des Forums Katholischer Erwachsenenbildung und Vorsitzender der Konferenz der Erwachsenbildung Österreichs (KEBÖ) 2023 – 2025. Von 2010 bis 2020 war Wachter als Generalsekretär der Caritas Österreich tätig.

 

 

"... wir brauchen eine Bildung um Haltungen für eine zukunftsfähige Gesellschaft
reflektieren zu können ...